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1. Einführung

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Dieser Text will einen allgemeinen Überblick über den aktuellen Konflikt in Mali anbieten. Im Mittelpunkt steht die komplexe Frage, welche Ziele die verschiedenen Akteure verfolgen: die Tuareg, die MNLA, Ansar Dine, AQIM und MUJAO. Eine eindeutige Antwort ist nicht möglich.  [1]

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Der Konflikt in Mali schwelt seit Jahrzehnten. Es geht um die Definition des Staates und um die Rechte der Völker, die in der Folge der kolonialen Fremdherrschaft zwangsweise unter dem Dach des Staates Mali zu einem Staatswesen zusammengefügt worden sind. Dieser Staat ist nicht aus einer Entscheidung der betroffenen Völker nach Art eines Gesellschaftsvertrages oder einer gemeinsam ausgehandelten Verfassung hervorgegangen und kann sich nicht einer von der Mehrheit getragenen Akzeptanz sicher sein. Moderne afrikanische Eliten aus dem Süden haben den Staat als Fortführung des Kolonialstaates aufgebaut. Es ist ihnen aber nicht gelungen, alle Völker dieses Raumes zu einem auf der Gleichheit und Gleichberechtigung Aller basierenden und als solchem empfundenen und akzeptierten Staatswesen zusammenzuführen.

2. Der aktuelle Konflikt

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Der aktuelle Konflikt ist offen ausgebrochen, als zu Beginn des Jahres 2012 die nationale Armee durch bewaffnete Tuareggruppen des MNLA ('Mouvement National pour la Libération de l’AZAWAD') und andere Kämpfer aus dem Norden Malis vertrieben wurde und dieser Teil des Landes unter die Kontrolle der Rebellen geriet. Diese Eroberung war möglich geworden, weil sich die malischen Söldner des libyschen Diktators Gaddafi, die meist aus den Reihen der Tuareg stammten, nach dessen Sturz mit Waffen, auch schweren Waffen, aus Libyen in ihre Heimat zurückgezogen hatten. Gleichzeitig wurde der Präsident Malis, Amadou Toumani Touré (ATT), im März 2012 von Militärs unter Leutnant Sanogo gestürzt, u.a. weil er nicht konsequent im Norden zur Aufrechterhaltung der staatlichen Autorität vorgegangen war. Nun war das Land ohne handlungsfähige Regierung, zumal die internationale Reaktion, auch von ECOWAS ('Economic Community of West African States') und der AU ('African Union') ultimativ von den neuen Militärmachthabern eine sofortige Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung in Mali forderten. Leutnant Sanogo kam diesem Drängen nach und setzte eine Übergangsregierung ein, die ohne demokratische Legitimation war und von der Führung des Putsches abhängig blieb.

Die Präsidentschaftswahlen und die Parlamentswahlen in Mali im Jahre 2013 haben keinen Neuanfang geschaffen (Wiedemann, 2013).

3. Die Rebellengruppen

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Die Rebellengruppen sind teils säkular, teils islamisch geprägt und nicht ethnisch bestimmt. Man kann sie genauer unterscheiden nach ihrer politischen Struktur: dann sind die in der MNLA Kämpfenden als Rebellen zu bezeichnen, da sie gegen die eigene Regierung kämpfen; die anderen sind Mujaheddin, „engaged in a violent jihad with ideological roots in Salafism“ (One Hippo, 2013: 1). Manche von ihnen würden auch gegen die eigene Regierung kämpfen, viele seien aber Ausländer.

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Unterschiedliche Tuareggruppen hatten schon in der Kolonialzeit gegen die koloniale Fremdherrschaft gekämpft und diese Ablehnung fremder Herrschaft in ihrem Lebensraum nach der Unabhängigkeit in mehreren blutigen Rebellionen gegen den Staat Mali fortgesetzt. Die Ziele ihrer organisierten Sprecher waren zunächst die Selbstbestimmung, dann eine bessere Integration in den Staat Mali und seit 2012 die Unabhängigkeit ihres Lebensraumes, d.h. des nördlichen Teiles von Mali, unter Einschluss der Städte Gao und Timbuktu. Der neue Staat sollte den Namen AZAWAD tragen. Diese Forderung wurde aber nicht einmal von der Mehrheit der Tuareg mitgetragen, [2] sodass man ernsthaft fragen muss, wen die MNLA vertritt. Zudem ist die MNLA trotz ihres regionalen Anspruchs „in fact an ethno-nationalist movement“ (Klute, 2012: 12). Die MNLA hat Anfang 2012 die Regierungstruppen aus den Regionen Timbuktu, Gao und Kidal vertrieben, deren Hauptstädte erobert und am 6.4.2012 die Unabhängigkeit dieses Gebietes ausgerufen. Im Sommer 2012 hat sie die Kontrolle über fast alle drei Regionen an eine militärisch überlegene Koalition aus Ansar Dine, AQMI und MUJAO verloren. Am 13.6.2013 wurde in Ouagadougou von MNLA, HCUA ('Haut Conseil pour l’Unité de l’AZAWAD') und MAA ('Mouvement Arabe de l’AZAWAD') sowie der Regierung Malis ein Rahmenabkommen („Accord Cadre“) über Friedensverhandlungen geschlossen. Darin waren ein Waffenstillstand und Verhandlungen über den künftigen Status des Nordens von Mali enthalten. Am 18.9.2013 wurden die Umsetzungsgespräche durch die MNLA, HCUA und MAA suspendiert, weil die Regierung den Waffenstillstand gebrochen habe (MNLA, 2013: Communiqué du 5.6.2013). Das entscheidende Problem dieser Verhandlungen ist der grundsätzliche Gegensatz über den künftigen Status von Nordmali: MNLA, HCUA und MAA verlangen einen Autonomiestatus, die Regierung unter dem am 28.7.2013 gewählten Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita lehnt dies kategorisch ab (Le Monde, 27.9.2013).

4. Die Mujaheddin und ihre Ziele

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Im Gegensatz zu diesen säkularen Zielen der Tuareg sind andere Gruppen entstanden, die den Vorstellungen des politischen Islam folgen. Sie wollen angeblich den Staat Mali und dessen Verfassung abschaffen und daraus einen islamischen Gottesstaat gestalten. In diesem soll nicht mehr eine nach westlich-demokratischen Prinzipien formulierte Verfassung das politische Selbstverständnis ausdrücken und den Staat formen, sondern islamische Konzepte von Staat und Recht sollen die Basis des neuen Staates bilden. Die Scharia soll die Rechtsnormen der Republik Mali ablösen. Eine solche fundamentalistische Umgestaltung des Staates wird aber von der Bevölkerung Malis strikt abgelehnt (Heyl/Leininger, 2012: 3)

Zu diesen Gruppen gehören Ansar Dine, „Unterstützer des Glaubens“, AQMI (in der deutschen Version AQIM: 'Al Qaida im islamischen Maghreb'), und MUJAO ('Mouvement pour l'unicité et le jihad en Afrique de l'Ouest'), Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika.

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Ansar Dine, auch Ansar Eddine genannt, wurde von Iyad Ag Ghaly gegründet. Dieser hatte im Tuaregaufstand der 1990ger Jahre eine wichtige Rolle gespielt und später durch eine diplomatische Tätigkeit im Dienste seines Landes in Saudi-Arabien internationale Kontakte geknüpft. Weil er bei einem Treffen von Tuareg-Chefs im November 2011 eine Reform der MNLA nach Scharia-Konzepten gefordert hatte aber nicht durchsetzen konnte, gründete er eine eigene Organisation. [3] Sie ist nach Einschätzung von Beobachtern „the movement with the clearest political project“ ( Klute, 2012: 12). Sie versteht sich als Verteidiger des Islam, will die territoriale Integrität Malis erhalten und das Land in eine “rigid theocracy” mit der Scharia als Grundgesetz umwandeln. [4] Einer ihrer Sprecher, Cheikh Ag Aoussa, der als die rechte Hand des Gründers Iyad Al Ghaly gilt, hat in einem Video vom 12.3.2012 erklärt: “It is an obligation for us to fight for the application of Sharia in Mali“ (AFP, 2012). In Timbuktu hat ein anderer Sprecher, Abou Mohammed, verkündet:

„Die Anwendung der Scharia ist eine von Gott auferlegte Verpflichtung, die für jeden Moslem gilt. Ob dies Einige schockt oder nicht, ist nicht unser Problem. Daher haben wir einem Dieb die Hand abgehackt, Trinker alkoholischer Getränke ausgepeitscht und ein nicht-verheiratetes Paar gesteinigt sowie die Mausoleen zerstört, die eine Häresie gegen den wahren Islam darstellen.“ (Bouquet, 2013: 94)

Ob die Einführung der Scharia aber gleichbedeutend ist mit der Schaffung eines islamischen Gottesstaates, mit der zitierten „rigid theocracy“, und worin dieser neue Staat gestaltet werden soll, ist nicht klar.

Ansar Dine hatte lange Zeit ihre Hochburg in Kidal, von wo sie die MNLA vertreiben konnte.

Die Rolle von Iyad Ag Ghali erscheint allerdings durchaus ambivalent: in der Krise von 2012/13 wurde er zum „Kettenglied zwischen ideologisch völlig disparaten Kräften“, eingestuft als „gefährlicher Terrorist“ und dann als „gefragter Unterhändler“ (Wiedemann, 2014: 280f).

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Die Gruppe AQMI ist aus der radikalen algerischen GSCP ('Groupe Salafiste pour le Combat et la Prédication') hervorgegangen, unterhält direkte Beziehungen zur Al Qaida-Führung und Algerien. [5] Seit 2007 hat sie Basen im Norden Malis. Sie hat lange Zeit gute Kontakte zur Regierung Malis und zu Präsident ATT gepflegt. Nach westlichen Einschätzungen lauten die wichtigsten politischen Ziele: "ridding North Africa of western influence, overthrowing apostate "unbeliever" governments (including Algeria, Libya, Mali, Mauritania, Morocco, and Tunisia), and installing fundamentalist regimes based on Islamic law or Sharia .“  [6] Dadurch ist auch Mali direkt betroffen. Wie ernst diese Ankündigung ist, haben sie bei der Einführung der Scharia und den Zerstörungen in Timbuktu unter Beweis gestellt. Aber Zweifel über ihre wirklichen Intentionen sind angebracht, ist AQMI doch nach der Einschätzung mancher Beobachter „eine kriminelle Bande“, die auf zwei Beinen steht, „einem kriminellen Bein und einem terroristischen Bein“ (Krech, 2011: 335). Ähnlich schätzen andere Beobachter AQMI ein, als “one of the region's wealthiest, best-armed militant groups due to the payment of ransom demands from humanitarian organizations and Western governments”  [7] . Der nigerianische Literatur-Nobelpreisträger Wole Soyinka spricht diesen Gruppen jede religiöse oder politische Ausrichtung ab:

„I confess that I find it impossible to regard these al-Qaida clones as either political or religious movements, even of the extremist kind… The world is facing viral mutations of the human psyche… The science fiction archetype of the mad scientist who craves to dominate the world has been replaced by the mad cleric who can only conceive of the world in his own image, proudly flaunting James Bond’s 007 credentials – licensed to kill” (Soyinka, 2013).

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Trotz dieser Einschätzungen bleibt die Frage nach den Langzeitzielen der Organisation: will sie einen islamischen Gottesstaat oder einen am Islam orientierten Staat einführen? Sie selbst hat sich dazu nie eindeutig geäußert. Aus einem Manuskript „Feuille de route pour le Mali“, verfasst von einem Führer der AQMI in Timbuktu, Aldelmalek Droukdel, geht hervor, dass AQMI sich in einem ersten strategischen Schritt nicht als neue Regierung präsentieren wollte, um nicht den Argwohn internationaler Beobachter zu wecken; sie wolle lediglich die islamischen Gesetze durchsetzen und das Volk für diese Reinigung des Islam gewinnen. [8] Was wäre aber der nächste Schritt gewesen?

Der als Anführer der AQMI geltende, aus Algerien stammende und dort wegen verschiedener Überfälle zum Tode verurteilte Mokhtar Belmokhtar hat als Rache für die Überfluggenehmigung Algiers für französische Kampfflugzeuge im März 2013 den Überfall auf die Gasförderanlage Tigantourine bei In Amenas in Algerien organisiert, bei dem 38 ausländische Facharbeiter getötet wurden. 'Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel' (AQAP) hat nach der Eroberung der Stadt Gao durch französische und malische Einheiten Muslime in aller Welt zum heiligen Krieg in Mali aufgerufen. [9]

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Die im Dezember 2011 durch eine Abspaltung von AQMI gegründete Bewegung MUJAO wird als die radikalste Gruppe der islamistischen Krieger angesehen. Durch ihren Gründer Hamada Ould Mohamed Kheirou hat sie enge Beziehungen zu Mauretanien. Ihr Ziel ist die Umgestaltung ganz Westafrikas in einen islamischen Großstaat. MUJAO hat im Juni 2012 die MNLA aus Gao vertrieben und sich die politische und wirtschaftliche Vorherrschaft in der Stadt erkämpft. [10] Im August 2013 sind die Gruppen MUJAO und AQMI eine Fusion eingegangen (Le Monde, 24.8.2013). Die MUJAO hat in Gao offenbar versucht, die Bevölkerung für sich zu gewinnen, indem die Krankenhäuser versorgt, die Märkte beschickt und Kriminalität unterdrückt wurden. [11]

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Diese Gruppen und weitere Neugründungen oder Abspaltungen wollen angeblich ein islamisches Staatswesen gründen, in Algerien, im Norden Malis, in ganz Mali oder in ganz Westafrika. [12] Nach Presseberichten von Aljazeera, Alakhbar und AFP ('Agence France Presse') wollten Ansar Dine und MUJAO nach der Besetzung der Städte Gao und Timbuktu Anfang 2012 ein “islamisches Emirat“ errichten und die Scharia im ganzen Territorium des Staates Mali einführen. [13] Der gesamte Großraum Westafrika sollte „re-islamisiert“ werden. [14] In einem Video hatte Cheikh Ag Aoussa, ein Sprecher von Ansar Dine und rechte Hand des Chefs von Ansar Dine, erklärt: „It is an obligation for us to fight for the application of Sharia in Mali“ (AFP, 2012).

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Die Journalisten Doornbos und Moussa sprechen zusätzlich von der Errichtung einer „islamic theocracy“ (Doornbos/Moussa, 2013: 1). Sie stützen dieses Urteil auf zahlreiche Dokumente, die von Ansar Dine bei der Flucht nach der französischen Militärintervention in Timbuktu zurückgelassen worden waren.

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Ob dies die offizielle Politik von Ansar Dine und MUJAO war, ist nicht klar. Es ist auch schwierig, Näheres über ihr Verständnis eines islamischen Emirates oder eines islamischen Gottesstaates in Erfahrung zu bringen. Ihre Politik der Einführung einer harten Strafgesetzgebung, die sie Scharia nannten, sagt über ihr Verständnis einer solchen Staatsform nichts Entscheidendes aus. Was könnten ein islamisches Emirat, ein islamischer Gottesstaat sein, wie ließen sich solche Staatsformen definieren? Wie würde in ihnen Macht und Machtausübung durch Menschen über Andere legitimiert? Die Frage nach der Legitimierung von Macht stellt die eine, an politikwissenschaftlichen Fragestellungen orientierte, Ebene dar. Eine andere Ebene fragt danach, welche Konzepte die Mujaheddin von Ansar Dine und MUJAO während ihrer Herrschaft formuliert und welche Institutionen sie durchgesetzt haben. Ausführliche Konzepte haben sie nicht vorgelegt.

Aus ihren politischen Entscheidungen kann man aber folgendes ableiten:

Sie wollten den wahren Glauben gegen “idol worship“ verteidigen, indem sie Mausoleen und Grabmäler zerstörten. Entsprechend sollte kein einziges Mausoleum in Timbuku erhalten bleiben, weil Allah diese verurteile. „Anything that doesn’t fall under Islam is not good. Man should only worship Allah.” (Al-Jazeera, 2012) Die Mausoleen seien eine Form der Heiligenverehrung, eine Gotteslästerung (“blasphemous”).Dieses Urteil nahm auch keine Rücksicht auf lokale Formen der Volksfrömmigkeit, gekennzeichnet durch Sufi-Mystik und Sufi-Bruderschaften: „the shrines of the local Sufi version of Islam (are considered) idolatrous“ (Al-Jazeera, 2012).

Sie wollten ferner zur Reinheit der Religion zurückführen, indem sie unsittliches Verhalten unter die in der Scharia, verstanden als Strafgesetzbuch, vorgesehenen Strafen stellten, z.B. Diebstahl, Ehebruch, Alkohol- und Tabakgenuss, öffentliche Musik und Tanz.

Sie haben eine Kleiderordnung für Frauen durchgesetzt, wie sie von der Tradition sanktioniert sei. Entsprechend wurde auch der Gebrauch von Parfums verboten.

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Als wichtigste politische Institution haben sie die islamische Gerichtsbarkeit und islamische Gerichte eingeführt, in denen nach Allahs Gesetzen, so wie die Mujaheddin diese verstanden, Recht gesprochen wurde. Das Positive in dieser Zielsetzung ist der Versuch, die Menschen zum Führen eines gottgefälligen Lebens anzuhalten. Sie hätten sicher auch andere Institutionen und Verwaltungsanweisungen ausgearbeitet, wenn sie länger an der Macht geblieben wären.

Mit diesen wenigen von ihnen geschaffenen Strukturen ist aber noch kein politisches Konzept erkennbar, das als Grundlage eines islamischen Gottesstaates fungieren könnte.

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Das Menschenbild hinter den verschiedenen Vorschriften zeigt, dass die Gewissensentscheidung des Einzelnen nicht die letzte Instanz ist und dass Frauen nicht dieselben Rechte haben wie Männer.

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Eine andere, grundsätzliche Frage ist, ob Ansar Dine und MUJAO jenseits des islamistischen Diskurses überhaupt die Errichtung eines Emirates oder Gottesstaates mit islamischen Vorgaben anstrebten, oder ob ihr primäres Ziel in der Schaffung eines Herrschaftsraumes lag, der frei wäre von westlicher Vorherrschaft und Präsenz. Darauf deutet die schon zitierte Äußerung hin, die Re-Islamisierung diene dem Kampf gegen die US- Europäische Präsenz. Gemeint sind möglicherweise vor allem Frankreichs Interessen: die militärische Präsenz, die wirtschaftlichen Interessen und die Auswirkungen des Konflikts auf die Staaten der Nachbarschaft, besonders Niger und Tschad. [15] In diesem Fall wäre der islamistische Diskurs ein ideologischer Deckmantel, mit dem diese Bewegungen Glaubwürdigkeit und Akzeptanz bei der Bevölkerung suchten.

Für viele Beobachter erscheinen diese religiös argumentierenden Gruppen als „Terroristen“, [16] als „Banditen“, [17] als „acteurs directs du trafic de drogues et d’autres formes de contrebande“ (Daniel, 2013: 279) oder als „Gangster-Dschihads“ (Engelhardt, 2012: 4“). Wiedemann nennt AQMI einen „Gemischtwarenladen für Terrorismus, Geiselnahmen, Drogenhandel“ (Wiedemann, 2014: 280).Ihre Rolle im Drogengeschäft wird von manchen Beobachtern aber differenzierter gesehen; sie seien nicht direkte Organisatoren dieses Geschäfts, sondern „Begleiter“ (Diffalah, 2013). Ihr wichtigstes Ziel wird von Kritikern definiert als der Versuch, die Staaten der Region zu destabilisieren und einen Großraum zu schaffen, der Nord- und Westafrika umfasst, um dort ein theokratisches Regime auf der Basis extremistischer Konzepte aufzubauen (Daniel, 2013: 278). Der entscheidende Faktor ist dabei die Destabilisierung der Staaten dieses Raumes als Vorbedingung zur Schaffung eines nur von ihnen beherrschten Großraumes:

„Diese Terroristen wollen aus der Zone Sahel-Sahara und darüber hinaus aus ganz Westafrika eine Hochburg schaffen, von der aus sie spektakuläre und blutige Operationen in der ganzen Welt starten könnten.“ (Daniel, 2013: 11)

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Diese Gruppen verfügen über moderne und schwere Waffen, teils aus Beständen des libyschen Machthabers Gaddafi, die nach dessen Sturz von ehemaligen malischen Söldnern in ihre Heimat mitgebracht wurden. Teils aus eroberten Waffenlagern der Armee Malis, teils aus der Beschaffung auf dem internationalen Waffenmarkt. Die ehemaligen Söldner sind durch ihre Ausbildung, ihre Bewaffnung, ihre ethnische Verankerung im Norden des Landes und durch ihre Motivation den Kämpfern der Armee Malis überlegen.

5. Die finanzielle Grundlage

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Die finanzielle Basis der islamistischen Rebellengruppen liegt im Schmuggel, im Drogenhandel und in der Erpressung von Lösegeldern. Der Schmuggel umfasst vor allem Zigaretten, die im großen Stil in einem grenzüberschreitenden Netzwerk im Großraum Westafrika gehandelt werden. Der Drogenhandel erfolgt in internationalen Dimensionen; Mali und Westafrika scheinen zu einem wichtigen Umschlagplatz von Drogen aus Südamerika mit Bestimmung Europa geworden zu sein. Beide Formen dieses Handels erfolgen in Mitwisserschaft und Mittäterschaft staatlicher Behörden und staatlicher Vertreter aus Verwaltung, Armee, Polizei und Zoll. Alle verdienen daran.

Die dritte Einkommensquelle ist die Entführung ausländischer Touristen und Fachleute, die gegen die Zahlung von Lösegeldern freigelassen werden.

Diese drei Bereiche stellen die beste und fast einzige Möglichkeit dar, im Großraum Sahara größere Einkommen zu erzielen.

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Französische Luft- und Bodentruppen haben in der 'Opération Serval' seit Januar 2013 die besetzten Städte befreit, konnten die Mujaheddin aber nicht besiegen, auch wenn sie ihnen in der Gebirgsregion Adrar des Ifoghas schwere Verluste zufügen und große Mengen Waffen und anderes Kriegsmaterial erbeuten konnten.

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Die Vielfalt dieser bewaffneten Gruppen, ihrer Ziele und internationalen Verbindungen zeigt einerseits die globale Dimension dieses Konflikts, der über Mali, den Großraum Westafrika und den afrikanischen Kontinent hinausgeht und Teil der Auseinandersetzung zwischen der westlich-demokratisch fundierten Welt und dem weltweit agierenden politischen Islam geworden ist. Anderseits wird hier das Ausmaß des Scheiterns des Staates Mali sichtbar, der die Kontrolle über große Teile des Landes und die Akzeptanz durch die Bevölkerung verloren hatte. Die Rivalitäten zwischen den Gruppen und Führern zeugen vom Gewicht persönlicher Faktoren und Rivalitäten in den Allianzen zwischen Tuareg und anderen Völkern wie zwischen unterschiedlichen Gruppen und Clans der Tuareg. Dabei macht das Überschreiten ethnischer Grenzen deutlich, dass es in Mali nicht um einen Machtkampf der Ethnien oder der Tuareg geht, sondern um eine Neuformierung des Staates.

6. Fazit

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Politisch ist der Staat Mali zum gegenwärtigen Zeitpunkt durch die Präsenz fremder Truppen stabilisiert: weder die Zentralgewalt noch die Integrität des Staatsterritoriums sind akut bedroht, obwohl die Tätigkeit von Tuareg-Rebellen und islamistischen Gruppen im Norden Malis seit April 2014 erneut gefährliche Ausmaße angenommen hat.

Die MNLA strebt die Autonomie von Nordmali an, ohne die politischen Strukturen dieser autonomen Region zu definieren.

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Schwieriger ist die Einschätzung der Mujaheddin: Ansar Dine, AQMI und MUJAO kämpfen mit militärischen Mitteln für die Umgestaltung des Staates Mali – und in einer Langzeitperspektive auch der Nachbarstaaten – in einen Staat, der auf den Prinzipien des Islam aufgebaut ist. Genauere Angaben über ihre Zielsetzungen, politische Visionen oder detaillierte politische Programme sind nicht vorhanden. Aus den oben angeführten sporadischen Äußerungen unterschiedlicher Sprecher dieser Bewegungen kann man nur entnehmen, dass sie die Scharia oder eine „rigid theocracy“ einführen, ein islamisches Staatswesen gründen, ein „Islamisches Emirat im Maghreb“ schaffen, den Islam von gotteslästerlichen Praktiken reinigen, den westlichen Einfluss in Nordafrika zurückdrängen, „apostate ‚unbeliever‘ governments“ beseitigen wollen. Das ist aber noch kein politisches Programm, sodass man ihre eigentlichen Ziele nicht kennt. Es ist auch unbekannt, ob sich die Ziele der einzelnen Organisationen voneinander unterscheiden, von wem sie vertreten werden und ob bzw. wie sie sich im Laufe der vergangenen Monate verändert haben.

Durch manche ihrer Taten, die Anwendung von Scharia-Strafen, die Zerstörung von Mausoleen und Verwaltungsgebäuden…, haben sie einige Vorhaben in die Tat umgesetzt und lassen grobe Richtungen ihrer Politik erahnen.

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Deutlich wird bei allen Äußerungen, dass die Mujaheddin sich gegen Formen der Volksfrömmigkeit wenden, die sich in Westafrika herausgebildet haben, die sogenannte „exception religieuse négro-africaine“ (Diop, 2012). Damit bedrohen sie in der Tat die lokale / regionale Form des Islam, der durch Sufi-Mystik, Bruderschaften, die Tätigkeit von Marabouts, die Verehrung von Vorbildern und andere Formen der Volksfrömmigkeit charakterisiert ist. Warum geschieht dies, gegen den Willen der großen Masse der muslimischen Bevölkerung? Mutmaßungen über die Ziele des Wahhabismus, der von Saudi-Arabien ausgeht, und über Machtkämpfe zwischen unterschiedlichen Richtungen des Islam und zwischen den sie unterstützenden Staaten drängen sich auf, lassen sich aber nicht genauer fassen.

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In ihren Einschätzungen sprechen afrikanische und westliche Beobachter sowie Erklärungen der UNO  [18] häufig von diesen Organisationen als „terroristischen Gruppen“. Serge Daniel, frz. Journalist mit langjährigen Forschungserfahrungen in Westafrika, beschuldigt AQIM gar, einen Freiraum für internationalen islamistischen Terrorismus schaffen zu wollen.  [19]

Literaturhinweise:

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UN Security Council Committee 2013b.

UN. Security Council Committee pursuant to resolutions 1267 (1999) and 1989 (2011) concerning Al Qaida and associated individuals and entities. QI. A. 31613. Iyad Ag Ghali, 2013. http://www.un.org/sc/committees/1267/NSQI31613E.shtml (19.9.2014)



[1] Ein allgemeiner Überblick in Schreiber, 2013: 153-165

[2] Scheen, 2013. Deutlicher äußert sich ein führender Forscher der International Crisis Group, Yabi: „There is little evidence to suggest majority support for the independent state proposed by the MNLA”.

[3] Wegen seiner häufigen Seitenwechsel wird er auch als „Wüsten-Wendehals“ apostrophiert (Engelhardt, 2012: 4).

[4] Verschiedene Stimmen werden von Wikipedia (englisch) zitiert.

[5] Siehe Krech, 2011; Siehe auch die ausführliche Studie: Daniel, 2013: “AQMI”.

[6] Council of Foreign Relations. Al Qaeda in the Islamic Maghreb. 24.1.2013

[7] [The New York Times, 13.12.2012, zitiert nach Wikipedia (englisch).]

[8] Feuille de route Aqmi pour le Mali

[9] “Es ist eine Pflicht für jeden fähigen Muslim, die Muslime in Mali zu unterstützen.“ (FAZ, 12.3.2013)

[10] „At first, the group represented a hard core of jihadist and criminal elements, but it quickly became a front for drug smugglers from Gao.” (Lacher, 2012:15)

[11] Engelhardt, 2012: 4; Ausdrücklich auch: Wiedemann, 2014

[12] Die seit Ende 2013 als 'IRIS' ('Islamische Republik im Irak und Syrien') oder 'IS' ('Islamischer Staat') auftretende Bewegung, die sich explizit auf Al Qaida beruft, verfolgt offenbar ähnliche Ziele.

[13] Temlali, 2012: „Its objective is … an Islamic emirate that acts as a base for Salafi expansion on the desert coast and the rest of West Africa.”; Siehe auch: AFP, 2012: 'Islamist fighters call for Sharia law in Mali'.

[14] MUJAO fügte hinzu, der Plan sei „to re-islamize this entire part of the continent by fighting the US-European presence there.” (Temlali, 2012)

[15] „Meanwhile France fears the effects of Mali’s division on its military and economic interests in the country. It is also concerned about the repercussions on the rest of the coastal countries: nearby Niger, France’s main supplier of uranium, and Chad, which is regard as France’s ‘eastern corner of its African kingdom.” (Temlali, 2012)

[16] So der Staatschef von Mauretanien, nach: Daniel, 2013: 259

[17] Bouquet, 2013: 94: „un banditisme de droit commun derrière des comportements marqués au sceau d’idéologies nationaliste ou religieuse."

[18] Siehe etwa: Security Council Committee, 2013a: Ansar Eddine

[19] Daniel 2013: 278 und 11. „Außer der Tatsache, dass AQMI djihadistische Ziele im Weltmaßstab hat, ist sein wichtigstes Ziel, die Staaten der Subregion zu destabilisieren, um sich einen geographischen Raum zu schaffen, der ganz Nord- und Westafrika umfasst oder einen wichtigen Teil dieses Raumes: dort soll ein theokratisches Regime mit extremistischer Ausrichtung installiert werden… „la fragilisation des Etats de la sou-région. “ - Die Terroristen wollen aus der Sahara-Sahel-Zone und aus ganz Westafrika ihre Hochburg machen, „un sanctuaire d’où ils pourraient mener des opérations spectaculaires et sanglantes à travers le reste du monde“.

[20] The Basel Papers on Political Transformations are a quarterly series seeking to contribute to theoretically informed and empirically grounded understandings of actors and processes of political transformations in Africa and beyond. The series is edited by Till Förster and Lucy Koechlin. The series opened with a programmatic sketch of the editors’ research agenda on politics and governance in Africa. The papers are available for download on the website of the Institute of Social Anthropology, http://www.crisa.ch .

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